Der Hauptausschuss des Rates der Stadt Köln erklärte am 8. August 2011 die Bergungsarbeiten für das am 3. März 2009 eingestürzte Historische Kölner Stadtarchiv offiziell für beendet.
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Mit diesem Zitat beendete Dr. Bettina Schmidt-Czaia, Direktorin des Historischen Archivs der Stadt Köln, ihr Statement vor der versammelten Presse anlässlich des offiziellen Endes der Bergung der am 3. März 2009 mit dem Einsturz des Archivs verschollenen wertvollen Archivalien.

Der Hauptausschuss des Rates der Stadt Köln erklärte am 8. August 2011 die Bergungsarbeiten für das am 3. März 2009 eingestürzte Historische Kölner Stadtarchiv offiziell für beendet. Damit ist die erste, wichtige Etappe auf dem Weg zum Wiederaufbau des Stadtarchivs – die Bergung der verschütteten Archivalien – erfolgreich abgeschlossen.

Dr. Schmidt-Czaia erinnerte an die immensen Belastungen während der zweieinhalbjährigen Bergungsphase für die vielen Helfer und freiwilligen Mitarbeiter, allen voran der Feuerwehr, sprach allen ihren Dank aus, würdigte auch die beiden mit dem Einsturz verstorbenen jungen Männer, nach denen von Anfang an mit Hochdruck gesucht werden musste, ehe man sich dem Archivgut widmen konnte, denn das historische Archiv und damit das Gedächtnis der so geschichtsträchtigen Stadt Köln drohte nach dem 3. März 2009 für immer in Schutt und Schlamm verloren gegangen zu sein.

Unvergessen die Bilder des Einsturzkraters, die damals um die ganze Welt gingen. Heute kann man sagen: 95 % der rund 30 Regalkilometer verschütteten Archivguts konnten geborgen werden. Nachdem bis Ende August 2009 zunächst der oberirdische Schutt und die darin verborgenen Archivalien abgetragen werden konnten, wurde ab Mitte Oktober 2010 nach Fertigstellung des Bergungsbauwerkes auch von unterhalb des Grundwasserspiegels Archivgut wieder an das Tageslicht gebracht. Allerdings taten sich im Rahmen der Grundwasserbergung nicht eingeplante logistische Herausforderungen auf, ganz aktuell in den letzten Wochen die Bergung von über den Archivalien liegenden Trümmern.

Insgesamt mussten 39, bis zu 30 Tonnen schwere Großtrümmerteile geborgen werden. Diese konnten oft nicht als Ganzes geborgen werden, sondern mussten aufwändig im Grundwasser in kleinere Stücke zerteilt werden. Trotz dieser widrigen Umstände konnte unter hohem technischen Aufwand seit Oktober 2010 noch einmal rund ein Regalkilometer Archivgut geborgen werden.

Doch geborgen heißt noch nicht gerettet: 15 % der geborgenen Archivalien sind leicht beschädigt, 50 % mittel schwer beschädigt und 35 % gelten als schwer beschädigt. Als nächste Mammutaufgabe zur Rettung des wissenschaftlichen und kulturellen Inhalts des Archivs ist es erforderlich, größere Aufgabenkomplexe zu bewältigen: Bestandserfassung und Bestandszusammenführung, Registrierung und Digitalisierung. Infolge der Einsturzkatastrophe kam es zu einer völligen Verunordnung der jetzt auf 20 Asylarchive verteilten Bestände, was bedeutet, dass Teile einer einzigen Akte sich möglicherweise in mehreren verschiedenen Asylarchiven in ganz Deutschland befinden. 325.271 Bergungseinheiten konnten bis heute erfasst werden, circa 20,5 % des Gesamtbestandes. Von diesen erfassten Archivalien konnten jedoch erst 43 % auf Anhieb identifiziert werden.

Geborgen und bereits identifiziert wurden große Teile der Sammlung Wallraf mit bedeutenden mittelalterlichen Handschriften, wie etwa dem frühmittelalterlichen Evangeliar aus St. Gereon oder den beiden Autographen des Albertus Magnus, Teile der Nachlässe des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll, der Architekten Dominikus und Gottfried Böhm, des Kölner Musikdirektors Ferdinand von Hiller und des Zentrumspolitikers Karl Bachem.

Die geborgenen Archivalien müssen ausnahmslos restauriert werden, die Fundstücke sind in unterschiedlichem Zustand: Teilweise stark aufgeweicht oder fragmentiert, teilweise im vollständigem Block und gut erhalten. Direkt nach der Bergung werden sie in ein Kühlhaus in Troisdorf Schock gefroren. Anschließend folgt die Vakuum-Gefriertrocknung, die sich das physikalische Phänomen der „Sublimation“ zu Nutze macht. Unter Anlegen eines Vakuums wird das gefrorene Wasser in Form von Eis direkt in den gasförmigen Zustand (Wasserdampf) überführt. Dabei wird die flüssige Phase komplett umgangen, bei der es zu weiteren schädigenden Prozessen wie Schimmelwachstum, verlaufenden Farben etc. kommen könnte. Nach der Gefriertrocknung sind die Archivalien komplett trocken und werden anschließend weiter restauratorisch behandelt in Form von Risschließung, Glätten etc.

Restaurierung und Konservierung werden zukünftig im neuen Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Porz-Lind durchgeführt, jedoch gibt es auch eine Kooperationen mit dem Landesarchiv von NRW in Münster sowie dem Sächsischen Staatsarchiv, dass die Restaurierungswerkstatt auf Schloss Hubertusburg zur Verfügung gestellt hat. Eine Restauratorin bzw. ein Restaurator, wäre 6300 Jahre damit beschäftigt, die Bestände zu restaurieren. Das Archiv hofft, dieses Unterfangen mit einer ständigen Besetzung von 200 Restauratoren und Hilfskräften in 30-50 Jahren zu bewältigen.

Schätzungen haben ergeben, dass die Kosten für die Restaurierung und die Zusammenführung aller durch den Einsturz aus dem Zusammenhang gerissenen Bestände mindestens 350 bis 400 Millionen Euro betragen werden. Diese immens hohe Zahl lässt eine berechtigte Frage zu: Stehen die Kosten, die für die Rettung der Archivalien aufgewendet werden, überhaupt in einem angemessenen Verhältnis zu dem Ertrag? Dr. Bettina Schmidt-Czaia weist darauf hin, dass man sich heute nicht das Recht herausnehmen kann, zu entscheiden, was für künftige Generationen bedeutsam sein mag, und Archivalien, die man für verzichtbar halten mag, zu entsorgen. Man weiß nicht, was die Menschen im Jahre 2050 oder weit darüber hinaus bewegt und was zu diesem Zeitpunkt interessant ist. Eine mittelalterliche Urkunde mag für damalige Verhältnisse ebenfalls völlig wertlos gewesen sein – heute halten wir sie ehrfürchtig in den Händen. Alltagsschriften des Presseamtes, des Schulamtes oder der Kämmerei sind das Mittelalter von morgen! In den Überresten einer jeden Zeit, was Archivquellen überwiegend darstellen, lassen sich objektive Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen und familiären Verhältnisse einer jeden Zeit bekommen, und hier liegt eine große Chance, aber auch eine Verpflichtung für kommende Generationen, die Akten zu bergen, zu restaurieren, und es ist mehr als nur eine gesetzliche Pflicht.

Die physische Wiederherstellung des Archivs der Stadt Köln erfolgt durch einen Neubau, der im Jahre 2015 beziehbar sein soll, wo ein neues Kölner Kulturzentrum mit der Kunst- und Museumsbibliothek gemeinsam mit dem Historischen Archiv unter einem Dach entstehen soll: Es soll ein allen offen stehendes, einladendes und transparentes Bürgerarchiv werden.

Autor: Dr. Egon Schlesinger Historisches Archiv Köln