Besonders die Eventbranche hat gelitten während der Corona-Pandemie. Auch Bernhard Paul, Chef des Circus-Theaters Roncalli, traf es wirtschaftlich hart. Sein Zelt war im Frühjahr 2020 bereits aufgeschlagen, die Generalprobe mit neuem Programm verlief reibungslos. Dann kam die Absage der Premiere durch die damaligen Corona-Bestimmungen. Jetzt – zwei Jahre später – ist Roncalli seit März 2022 wieder auf Tour und gastiert noch bis 22. Mai 2022 auf dem Kölner Neumarkt. Wofür der Unternehmer Bernhard Paul die Zwangspause genutzt hat, erzählt der 74-Jährige im Interview mit CityNEWS.
CityNEWS: Als der erste Schrecken im März 2020 verdaut war, was stand für Sie als Unternehmer im Fokus?
Bernhard Paul: Ich habe an meine Mitarbeiter gedacht, denn ich wusste sofort: Wir werden jetzt erst mal kein Geld verdienen. Kurzarbeit und Wirtschaftsförderung haben uns gerettet, sonst wären wir untergegangen. Für diese Unterstützung bin ich sehr dankbar.
CityNEWS: Sie mussten also niemanden entlassen?
Bernhard Paul: Diese Frage stellt sich nicht in einem Zirkus. Die Mitarbeiter und Künstler leben für die Manege. Die wollen gar nicht woandershin.
CityNEWS: Was kam dann?
Bernhard Paul: Wir haben die vergangenen zwei Jahre genutzt, um das Circus-Theater Roncalli hinter den Kulissen zu perfektionieren.
Sicherheit vor Corona durch neue Lüftungstechnik erhöht
CityNEWS: Wo haben Sie an den Stellschrauben gedreht?
Bernhard Paul: Wir haben zum Beispiel neue Klimaanlagen und Heizungen angeschafft. So können die Aerosole aus der Luft gefiltert und über eine Kuppel aus dem Zelt geleitet werden. In puncto Sicherheit bezüglich Corona sind wir schneller vorangekommen als viele andere. Bei uns im Zelt braucht kein Besucher Angst zu haben. Die Ansteckungsgefahr ist durch die neue Lüftungstechnik auf ein Minimum reduziert.
CityNEWS: Wofür haben Sie den zweijährigen Winterschlaf sonst noch genutzt?
Bernhard Paul:Wir haben das gesamte Archiv aufgeräumt und angefangen zu digitalisieren. Wie Sie sicher wissen, beherberge ich die größte Circus- und Varietésammlung Europas mit historischen Kaufmannsläden, Schaustellergeschäften und Kutschen, Verkaufswagen, einem riesigen Fundus an Kostümen und Plakaten. Da sind wahre Schätze wieder zum Vorschein gekommen, die auch bald der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.
CityNEWS: Inwiefern?
Bernhard Paul: Ich habe zwei große Verträge unterschrieben. Es geht um ein Buch zum 50-jährigen Bestehen des Circus-Theaters Roncalli, denn wir feiern im Jahr 2025 wieder einen runden Geburtstag. Beim zweiten Vertrag geht es um die Filmrechte für eine Dokumentation über das anstehende große Jubiläum.
CityNEWS: Inwiefern hat die Corona-Pandemie Ihre Nachhaltigkeitsstrategie beeinflusst?
Bernhard Paul: Nachhaltig zu denken und zu wirtschaften ist von Beginn an Teil unserer Philosophie gewesen. Das ging schon los, als ich selbst noch ein Kind war und in den Zirkus ging. Ich habe nichts weggeworfen, weder Programmhefte noch Bonbonpapiere oder Eintrittskarten. Aus dieser Sammelleidenschaft ist – statt Müll zu produzieren – ein riesiges Archiv entstanden. Als wir in der Corona-Pause aufgeräumt haben, war ich selbst erstaunt, was ich alles noch besitze.
Circus Roncalli als erster ohne Plastik und ohne Tiere
CityNEWS: Sie sind der erste Zirkus ohne Plastik. Wie kam es dazu?
Bernhard Paul: Auch ein Kindheitserlebnis. Als kleiner Bub habe ich schon Plastik gehasst. Später als Vater konnte ich die Legosteine meiner Kinder kaum ertragen, nicht nur, weil das Drauftreten ganz schön wehtat. Ich habe es mit Holz-Spielzeug versucht, aber mit wenig Erfolg.
CityNEWS: Ist die plastikfreie Einstellung denn wirtschaftlich?
Bernhard Paul: Nachhaltig zu wirtschaften hat mich schon viel Geld und Nerven gekostet. Denken Sie allein an die ganzen Glasflaschen, die nach jeder Vorstellung eingesammelt werden müssen. Dafür brauchen Sie eine Menge Personal. Aber es ist wichtig, nachhaltig zu arbeiten.
CityNEWS: Sie haben auch als Erster die Tiere aus der Manege verbannt. Hat sich das gelohnt?
Bernhard Paul: Wir haben nie viele Tiere gehabt, aber sie ganz aus dem Programm zu nehmen, war ein Riesenwagnis, denn damals war der Zirkus eng mit Tieren verbunden. Ich brauchte also Ersatz. Eine New Yorker Show hat mich inspiriert, mit Hologrammen zu experimentieren. Seitdem laufen wieder Elefanten und Pferde durch die Manege und ab und zu schwimmt auch ein Goldfisch vorbei. Die Abkehr von echten Tieren war weltweit eine Sensation in der Zirkuslandschaft. In China können Schüler die Geschichte sogar in einem Schulbuch lesen.
Nur in Deutschland war das Echo verhalten. Umwelt- und Tierschützer haben uns mit Dankesbriefen überschüttet. Aber die Presse hat uns erst mal links liegen lassen. Erst viel später wurden wir für die Tier-Hologramme mit dem ersten deutschen Nachhaltigkeitspreis Design ausgezeichnet. Das Publikum war von Anfang an begeistert. Die Zeiten ändern sich, das muss man als Unternehmer immer im Auge behalten. Und das ist hier gelungen.
CityNEWS: Apropos Tiere: Wie tierfrei ist das Gastronomie-Angebot?
Bernhard Paul: Wir bieten mittlerweile auch vegane Burger an. Die klassische Bratwurst wird es trotzdem weiter geben. Dogmatisch wollen wir nicht werden.
So CO2-frei und nachhaltig wie möglich
CityNEWS: Wie CO2-frei ist Roncalli?
Bernhard Paul: Wir vermeiden CO2, wo es geht. So steuern wir pro Jahr nur fünf Orte an und nicht 50, wie viele andere. Unser Equipment transportieren wir nicht mit Sattelschleppern, sondern seit über 40 Jahren rollen unsere 100-jährigen Wagen über die Schiene, angetrieben von Ökostrom. Und das, obwohl uns vonseiten der Bahn immer wieder Steine in den Weg gelegt werden.
CityNEWS: Was meinen Sie?
Bernhard Paul: Die Bahn hat bereits vielerorts Verladebahnhöfe stillgelegt. Jetzt müssen wir in Vororten ausladen, das ist umständlich und teuer. Um hier unabhängig zu werden, sind wir dabei, eine eigene Verladerampe auf Rädern zu konstruieren.
CityNEWS: Ab wann werden Sie klimaneutral wirtschaften?
Bernhard Paul: Klimaneutralität ist ein großes Wort. Wir vermeiden Plastik, fahren Bahn, filtern die Luft, aber es braucht auch Energie, um zum Beispiel die neue Klimaanlage zu betreiben, damit sich die Menschen bei uns sicher fühlen. Als Wirtschaftsunternehmen müssen wir Prioritäten setzen. Dennoch ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmenswerte.
CityNEWS: Wo haben Sie sich in der Corona-Pause in puncto Nachhaltigkeit verbessern können?
Bernhard Paul: Wir sind auf dem Weg zum papierfreien Büro. Die Digitalisierung wird bei uns in großen Schritten vorangetrieben. Auch hier müssen wir neue Wege gehen und uns der Entwicklung anpassen. Unser kompletter Online-Auftritt inklusive Social Media wird einen Relaunch erfahren. Natürlich wird es weiterhin unsere Plakatierung geben, aber wir fahren parallel eine hochmoderne Digitalstrategie, die wir dieses Jahr umsetzen.
Bernhard Paul mit neuen Ideen rund um Mode und Film
CityNEWS: Ganz schön viel los bei Ihnen. Wie wir Sie kennen, haben Sie schon wieder neue Ideen. Was treibt Sie gerade um?
Bernhard Paul: Erst mal natürlich das neue Programm und die laufende Tournee. Wir haben fantastische Künstler in der Manege, die darauf brennen, endlich wieder aufzutreten. Aber Sie haben recht. Neben dem 50-jährigen Jubiläum mit Buch und Film arbeiten wir parallel an einer Modelinie Roncalli. Damit wollen wir unter anderem auf die Laufstege in New York.
CityNEWS: Also Haute Couture à la Roncalli?
Bernhard Paul: Nein, das passt nicht zu uns. Wir denken an schöne und massentaugliche Mode mit Zirkus-Elementen. Fair Trade soll die Kollektion aber schon sein, da bleiben wir unserer Gesinnung treu.
CityNEWS: Letzte Frage: Vom 7. April bis 22. Mai 2022 gastieren Sie in Köln: Werden Sie wieder in Ihr Clownskostüm schlüpfen?
Bernhard Paul: Köln ist immer für eine Überraschung gut. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel versprechen, also formuliere ich es so: Es kann durchaus sein, dass es in Köln zusätzlich zum neuen Programm hier und da besondere Goodies gibt.
Über Bernhard Paul
Bernhard Paul gründete das Circus-Theater Roncalli im Jahr 1975. Mittlerweile hat das Familienunternehmen über 200 Mitarbeiter. Während seiner Laufbahn hat er viele Bücher geschrieben und Ehrungen erhalten, darunter das Bundesverdienstkreuz. Der Zirkus-Fan ist verheiratet und hat drei Kinder. Am 20. Mai 2022 wird er 75 Jahre alt.