Arzthelferin – Plage der Menschheit: Ein Kommentar von Comedian und Autorin Andrea Volk

Arzthelferin - Plage der Menschheit: Ein Kommentar von Comedian und Autorin Andrea Volk / copyright: Rainer Sturm / pixelio.de
Arzthelferin – Plage der Menschheit: Ein Kommentar von Comedian und Autorin Andrea Volk
copyright: Rainer Sturm / pixelio.de

Als Kassenpatient hat man zwei natürliche Feinde. 1. Alles, was sich Gesundheits-Reform nennt, 2. die Arzthelferin. Zumal wenn sie am Empfang der Praxis sitzt, den man der Richtigkeit halber nicht “Empfang” sondern “Abweiser” nennen sollte. Ein Kommentar von Andrea Volk.

In welchem Lehrjahr lernen Arzthelferinnen in diesem müden Tonfall „Was kann
ich für Sie tun?“ zu sagen – und „Verpiss dich“ zu meinen? Kann das überhaupt
lernen, oder gibt es die genervte Arzthelferin fix und fertig zum Download im
Internet – als Desktop-App für Ärzte? Oder werden Arzthelferinnen vielleicht in
einem geheimen Genlabor im Ostblock gezüchtet? Lenin, Stalin, Putin,
Arzthelferin – das reimt sich, das kann doch kein Zufall sein!?

Düstere Verschwörungstheorien vor mich hinmurmelnd stand ich im Morgengrauen in
der Warteschlange vor dem Tresen meiner orthopädischen Praxis. Hinter dem
Tresen versteckten sich zwei Arzthelferinnen. Unsere Schlange bestand aus vier
Leuten. Im Wartezimmer siechten weitere drei Patienten vor sich hin.

Jede der beiden Weißdrachen hatte also dreieinhalb Personen zu betüddeln, nebst
einem bis dahin unsichtbaren Arzt. Dass sie es trotzdem schafften, genervt und
überarbeitet zu sein, bewies wieder einmal die fundierte Ausbildung, die sie
genossen haben mussten.

Erstaunlich wie es die gemeine Arzthelferin schafft, dass man sich als
Kassenpatient vor dem Tresen vorkommt wie ein Sozialhilfeempfänger, der
Unterstützung erbetteln muss. Die Schlange rückt eins vor. Die Frau vor mir hat
das Pult erreicht. Die Arzthelferin guckt sie gar nicht erst an. Sie
telefoniert. Mit einem Patienten. In einem herablassenden Tonfall, der noch Gandhi
zur Weißglut treiben würde. Dabei schaut sie in ihren Monitor und klickt mit
der Maus. Sehe den Bildschirm nicht. Vermute sie spielt „Solitär“.

Nachdem sie den Anrufer mit einem zarten Lächeln in den Mundwinkeln genügend
erniedrigt hat, beendet sie das Telefonat, dreht uns Wartenden aber weiter die
kalte Schulter zu und deutet auf den Computer: „Der arbeitet noch“, sagt sie.
„Ja“, möchte man sagen, „nimm Dir mal ein Beispiel.“

Weiß gar nicht wozu beide Arzthelferinnen Gelenkschoner tragen. Die andere
sogar, um den Finger mit dem sie tippt. Ist das so eine Art orthopädisches
Rangabzeichen? Ein Bundesverdienstknöchel?
Gut, man muss natürlich gerecht sein, auch gegenüber Arzthelferinnen. Von ihrer
Warte aus muss der Blick auf die Eingangstür wirken wie ein blödes
Theaterstück, wo sich der Vorhang minütlich hebt und das Stück heißt: „Die
nächste doofe Fresse kommt rein“. Den ganzen Tag Gehumpele und Gestöhne. Hinter
ihrer sichereren Burgmauer hervor beobachtet sie den Zug der Leprakranken, der
sich den Weg in die Praxisräume bahnt und deren blutige Abszesse bald ihre schöne
Küchenrolle auf der Arztpritsche versauen werden. Ein erbärmlicher Haufen
aktuell Nicht-Leistungsträger, Heerscharen von Nörglern, die an ihrer Burgmauer
stranden. Im Grunde kann man froh sein, dass sie einen nicht mit kochendem Öl
übergießt.

Dazu der Desinfektionsgeruch, der Wartezimmer-Muff, die bunten Schweiß- und
Mundgeruch-Fahnen und der traurige Garderobenständer neben der Tür, an dem die
aufgeknüpften Jacken leicht in der Zugluft wehen, zur Abschreckung aller, die
ohne gültige Überweisung kommen.

Und dann ein
Schicksal nach dem anderen, das durch diese Türe weht und eine abgelaufene
Überweisung rechtfertigt wie die Frau vor mir: „Aber ich konnte den Termin doch
nicht wahrnehmen, einmal da hatte ich Durchfall!“ Welche Verzweiflung muss eine
Frau treiben, dass sie im Vorzimmer der Orthopäden-Hölle, in einer „Schlange“
von vier Patienten, davon zwei männlich und attraktiv sagt: „Ich hatte
Durchfall“. Es ist die Arzthelferin, die das Letzte aus uns rauskitzelt, was
mich wieder in meiner KGB-Genlabor-Theorie bestätigt.

„Einmal da hatte ich Durchfall“, wiederholt die Patientin mit dem Mut der
Verzweiflung, „und einmal wurde meine Kollegin am Magen operiert, da konnte ich
doch nicht weg!“

Die Arzthelferin verzieht ihr Schnütchen und streicht sich mit dem Daumen der
Rechten über den manikürten Zeigefingernagel. Wir Wartenden glotzen alle auf
den streichenden Daumen wie die Kaninchen auf die Schlange. Der Pate hätte es
nicht schöner gemacht.

„Nun gut“, gewährt
die Arzthelferin Pardon, „dann müsste ich nochmal ihre Karte einlesen und dann
machen wir das Quartalsübergreifend.“

Die Patientin ist
kurz davor das Pult zu küssen. Ich verhindere ihren Kotau in dem ich ihr in den
Nacken huste. Eine Tür klappt auf, ein Arzt erscheint und eilt geschäftig an
unserem leprösen Haufen vorbei. Die Patienten, die dazu noch in der Lage sind,
halten den Atem an. Ein Arzt, ein richtiger echter Arzt, diesen Anblick muss
man jede Sekunde genießen.

Schließlich stehe ich ihm Aug in Aug gegenüber für die
Fünf-Minuten-Abfertigung. „Ihre Arzthelferinnen sind die Pest“, sage ich. „Ja“,
sagt der Arzt, „ich weiß“. Im Hinauseilen nickt er mir verständnisvoll zu. Muss
unbedingt rauskriegen wie er hieß, netter Typ.

Beim Hinausgehen streift mein Blick die verstaubte Spardose für Trinkgeld auf der
Arzthelferinnen-Burgmauer.

Niemand wirft was
herein.

Sie
sollten sich fragen warum.

Weitere Infos, Tour-Termine und vieles mehr zur Autorin
Andrea Volk
finden Sie unter: www.andreavolk.de und unter www.agentur-zuckerstuecke.de

Wer Andrea Volk live erleben möchte, kann dies am 29.04. und am 13.05.2013 um 20.30 Uhr im Ateliertheater Köln, Roonstr. 78. Tickets gibt es über das Kartentelefon: 0221 – 24 24 85.

Autor: Andrea Volk